Dieses Gefühl ist unvergleichlich! Mein persönliches Olympia-Resümee.

25.08.2021

DESTINATION ROTPUNKT

Japanische Flagge

Klettern ist olympisch und ich bin mittendrin.

Entgegen allen Erwartungen haben die Olympischen Spiele stattgefunden, und ich bin unheimlich froh darüber! Die letzten Tage und Wochen waren hektisch wie aufregend. Noch sind die Erinnerungen recht frisch und bevor sich alles beginnt zu setzen, möchte ich den Moment nutzen und meine ganz persönliche Olympia-Erfahrung teilen.

Es war eine einmalige Gelegenheit, der Welt den Sport, den wir alle lieben, in einem neuen Licht zu zeigen. Damit meine ich jetzt nicht nur die Kletter-Performances, sondern die Kollegialität zwischen den sogenannten Konkurrenten, die eigentlich mehr ein Haufen Gleichgesinnter sind. Die Begeisterung war und ist echt, weit über die Kletter-Community und die teilnehmenden Nationen hinaus. Die Reaktionen aus allen Ecken und Enden der Welt machten die Reichweite der Olympischen Spiele greifbar und konkret. Das war mit Sicherheit die größte Bühne, auf der wir unseren Sport bisher präsentieren konnten.

Meine Ankunft im Olympischen Dorf machte mir die Größe dieser Veranstaltung zum ersten Mal so richtig bewusst. An jedem Balkon und von jedem Fenster wehten Flaggen unterschiedlichster Nationen, auf den Straßen waren Athleten aus aller Welt und aus diversen Sportarten unterwegs, alle paar Minuten Rufe der Freude oder auch Enttäuschung aus einem der Appartements, weil wohl gerade jemand gewonnen oder verloren hat – so eine unglaubliche Stimmung hatte ich bisher noch nicht erlebt. Die ganze Welt des Sports war an diesem Ort vereint und diese verbindende Begeisterung war magisch. Ich habe absolut jeden Augenblick aufgesaugt!

Aus sportlicher Sicht hätte die emotionale Achterbahn nicht heftiger sein können. Tatsache ist, dass ich bis zum Ende der finalen Boulder-Runde geglaubt habe, die ganze Welt hätte sich gegen mich verschwört. Zum ersten Mal ist dieses Gefühl nach der Qualifikation aufgekommen, als klar wurde, dass Bassa Mawem verletzungsbedingt vom Finale zurückziehen muss. Zusätzlich zu dieser unerwarteten sportlichen Wendung war eine hitzige Diskussion über das Wettkampf- und Bewertungsformat im Olympischen Sportklettern entbrannt. Teilweise absolut verständlich, doch wurde es oftmals emotionalisiert und ohne Kontext kommuniziert. Auch dazu möchte ich Stellung nehmen.

Schon bei der Bekanntgabe des Olympischen Kletterformats vor fünf Jahren gab es jede Menge Diskussionen zu diesem Thema. Grundsätzlich ist es so, dass die Mehrheit der Athletinnen und Athleten, die sich für die Spiele qualifiziert haben, nie an einem Speed-Bewerb teilgenommen hätten, wenn das Kombinationsformat nicht für Tokio gewählt worden wäre.

Tatsache ist, dass Vorstieg und Boulder – bei allen Unterschieden – mehr gemeinsam haben als eine der beiden Disziplinen mit Speed. Tatsache ist auch, dass es eine Lösung brauchte, die alle Disziplinen umfasste, und gleichzeitig den Weg ebnen würde für eine zukünftige Weiterentwicklung des Sportkletterns innerhalb des Olympischen Programmes. Keine leichte Aufgabe zum Auftakt, und sicherlich eine, deren Ausgang nicht alle happy machen würde.

Jakob Schubert Portrait im Haus der Musik

Die erwartete Debatte ließ nicht lange auf sich warten und war heftig, doch allen Diskussionen zum Trotz hinterließ die Entscheidung am Ende eine gespaltene Kletterwelt. Wo sah ich mich in dem Ganzen? Auch ich war vom Format nicht hundertprozentig überzeugt, doch ab einem gewissen Punkt wollte ich meine Energie nicht mehr dafür aufwenden, gegen etwas anzukämpfen, das bereits entschieden und fixiert war. Ich wollte zu den Olympischen Spielen, Kombination hin oder her.

Dass das Format von Tokio eine gewisse Gratwanderung war, ist mir absolut bewusst, aber mir ist wichtig, zu unterscheiden, wo da Klettern als Olympischer Sport derzeit steht und wo es in Zukunft seinen Platz haben sollte und wird. Natürlich wäre es am besten gewesen, alle drei Disziplinen von Beginn an als Einzelevents auszutragen, doch das war keine Option.

Sportklettern hatte eine Medaille zu vergeben und das gewählte Format war die Kombination. Punkt. Es war entschieden worden, dass die Multiplikation der Ergebnisse den besten Athleten aus drei Disziplinen hervorbringen würde. Punkt.

Tokio wird als das Olympische Sportkletter-Debut in die Geschichte eingehen, mit einem Format, das – unter den bekannten Umständen – Sinn machte und dem Zweck des kleinsten gemeinsamen Teilers diente. Klettern wird sich in seinem Olympischen Format weiterentwickeln, davon bin ich überzeugt. Bereits in Paris 2024 wird Speed als eigene Disziplin ausgetragen werden und Bouldern und Vorstieg als eine Kombination abgehalten, die definitiv ein Schritt in die richtige Richtung ist. Die Aufmerksamkeit und die Rückmeldungen im Laufe der gesamten Zeit stimmen mich absolut optimistisch, dass Klettern seine Berechtigung als Olympischen Sportart bestätigt hat. Je näher wir an das Ziel kommen, Einzelmedaillen in allen drei Disziplinen zu vergeben, umso besser.

Bereits in den wenigen Bewerben, die vor den Spielen als Kombination abgehalten worden sind, hat sich abgezeichnet, dass es an Spannung nicht mangeln, den Überblick über den Zwischenstand zu behalten, dafür umso schwieriger sein würde. Wie sehr die Multiplikation ein Ergebnis umdrehen konnte, wurde bei den Spielen allerdings in einer ganz neuen Dimension offensichtlich.

Meine Rolle im Vorstieg ist das beste Beispiel dafür: wäre ich hinter Adam geblieben, hätte er Gold geholt und ich wäre Letzter geworden. Mit meinem Top wurde ich Dritter, während Adam auf Platz 6 zurückfiel. Hätte ich wiederum keine persönliche Speed-Bestleistung aufgestellt, wäre ich nach der Qualifikation eventuell an letzter Stelle gelegen und hätte somit das Glück gehabt, ein Freilos für den 4. Platz in dieser Disziplin zu bekommen. Nach diesem Szenario hätte ich Gold gewonnen.

Jakob Schubert isst traditionelle Japanische Nudeln
Jakob Schubert in der Ubahnstation

Im Speed denke ich, hätten die Dinge anders gehandhabt werden sollen. Bassas Verletzung war unglücklich, aber der Umgang damit war alles andere als gut. Ich verstehe, dass es schwierig gewesen wäre, Alex Megos (9. nach der Qualifikation) aufrücken zu lassen, da der 8. Platz nun mal Bassa gehörte. Dennoch denke ich, dass es wesentlich fairer gewesen wäre, dem bestplatzierten Speed-Kletterer das Freilos zu geben, anstatt dem Schlechtestplatzierten in dieser Disziplin, der diesen 4. Platz unter normalen Umständen wohl nie erreicht hätte.

So wie ich Adam über viele Jahre kennenlernen durfte, weiß ich, dass er der letzte ist, der etwas unverdient bekommen wollen würde. Wir haben unsere Bedenken an die Offiziellen weitergegeben, sie wurden aber zu unserer Enttäuschung nicht beachtet. Es war hart, diese Entscheidung zu akzeptieren. Es ist mir nicht gelungen, das während des Finales auszublenden. Zu wissen, dass Adam den 4. Platz bekommen würde und dann zu sehen, wie sich der Speed-Bewerb entwickelte, hat mich mental ganz schön mitgenommen.

Jakob Schubert Portrait

Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass man mit dieser Situation besser hätte umgehen können, will ich nicht mit Groll und Bedauern zurückschauen. Eine Medaille in Händen zu halten, hilft sicherlich, die Dinge zu verarbeiten. Vielleicht trägt aber auch genau diese unglückliche Situation zur besonderen Süße bei, die dem finalen Ausgang des Wettkampfes beiwohnt. Beim Einstieg in die Lead-Route war ich bei weitem nicht mehr so nervös, wie in den Runden davor. Ein Teil von mir hatte bereits aufgehört, an die Medaille zu glauben. Ich wusste, dass die Wahrscheinlichkeit mehr als gering war, deswegen wollte ich nur mein bestes Klettern in meiner Lieblingsdisziplin zeigen.

Ich wusste nicht, wie weit die Jungs vor mir gekommen waren; irgendwie hatte ich jedoch das Gefühl, dass noch niemand ans Top geklettert war. Kaum eingestiegen in die Route, war ich komplett im Flow – ein wohlbekanntes Gefühl. Dass ich allerdings die ganze verbleibende Energie und meine Erfahrung, gepaart mit dem Ärger und Frust über die vorigen Runden, in eine perfekte Route umwandeln konnte, ist mir noch nicht so oft passiert. Ich bin sprichwörtlich durch die einzelnen Passagen hinaufgeflogen, immer höher und weiter. Sogar die geringe Reibung spielte keine Rolle mehr, der Flow zog mich immer weiter nach oben. Am Top angekommen, hörte ich die wenigen Zuschauer frenetisch applaudieren. Ja, ich war auch überglücklich über die Art, wie ich geklettert bin, dass das für eine Medaille gereicht hatte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt aber immer noch nicht.

Die meisten, die das jetzt lesen, kennen den Rest: Ich war gerade dabei, den Knoten aus dem Gurt zu lösen, als mein Coach seit Kindheitstagen auf mich zugelaufen kommt und mir völlig aufgelöst 3 Finger entgegenstreckt.

In diesem Moment habe ich es realisiert – ich würde bald eine Medaille um meinen Hals haben! Es hat mich getroffen wie ein Blitz, so viel Freude und Glück auf einmal – unfassbar. Das Einzige, was ich in diesem surrealen Moment tun konnte, war alles rauszubrüllen. Keine Chance, irgendeine Emotion zurückzuhalten, und auch kein Grund dafür. Alles musste raus.

Jakob Schubert isst traditionelle Japanische Nudeln
Jakob Schubert in der Ubahnstation
Teamfoto Olympisches Dorf

In meiner gesamten Karriere lagen Glück und Leid noch nie so eng beieinander. Wir hätten wohl alle viel Geld verloren, wenn wir auf ein Podium ohne Tomoa und Adam gesetzt hätten – die beiden waren auch meine Favoriten für Gold. Doch wie immer in einem Einzelevent spiegelt das Ergebnis den Besten des Tages wider und nicht unbedingt den überhaupt Besten.

Ich freue mich von ganzem Herzen für Alberto und Nathaniel; die Mathematik kann man nicht austricksen und es gibt einen Grund, warum die beiden auf dem Podest gelandet sind. Für mich persönlich weiß ich, dass ich mit ein bisschen mehr Glück auf meiner Seite ein Stückchen weiter oben am Podium hätte landen können, aber gleichzeitig lassen all die gerade genannten Umstände meine Medaille noch heller glänzen.

Zusammenfassend bleibt mir nur zu sagen, dass die Teilnahme an Olympischen Spielen eine einmalige Erfahrung ist, die mit nichts zu vergleichen ist, was unser Sport bisher jemals gesehen hat. Ich würde dieses Erlebnis für Nichts in der Welt eintauschen, und ich werde alles tun, diese tiefempfundene Begeisterung bis 2024 zu konservieren. Dann würde ich gerne wieder auf dieser Bühne stehen.

Bis dahin steht noch viel auf meinem Plan, doch eins nach dem anderen: zuerst brauche ich frische Haut auf meinen Fingern!

Vielen Dank für euer Daumendrücken! Es bedeutet mir alles. Es war eine unglaubliche Reise! Bis bald!

Seht hier das olympische Kletterfinale

Speed: 7:13

Bouldern: 1:20:45

Lead: 4:26:56

Bildnachweis | ÖOC/GEPA | Simon Rainer